Advance Care Planning

Gerade für Personen, die Menschen am Ende des Lebens und/oder Menschen mit psychischen Erkrankungen betreuen, ist das Thema der Gesundheitlichen Vorausplanung (GVP) von grosser Bedeutung. Unklare Abmachungen oder fehlende Dokumente führen zu Notfalleinweisungen entgegen dem Willen der betreuten Person. Betreuende Angehörige werden dadurch zusätzlich belastet. Sie fehlen am Arbeitsplatz, selbstständig Erwerbende werden in Ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht oder durch die zeitliche und mentale Zusatzbelastung selbst krank. Fehlen Angehörige oder sind diese zur Zeit nicht verfügbar, ergeben sich für Menschen mit Demenz und psychischen Erkrankungen schwierige Situationen, indenen aufgrund fehlender Vergütung von Betreuungsleistungen, die Menschen teilweise im Spital fixiert und mit Medikamenten ruhig gestellt werden.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) haben im Auftrag des Bundesrates im Frühling 2021 eine Arbeitsgruppe «Gesundheitliche Vorausplanung» eingesetzt. Dies mit dem Ziel, Rahmenbedingungen zu erarbeiten, um die gesundheitliche Vorausplanung im Gesundheitswesen zu stärken und zu verankern.

Im Fokus steht die Vorausplanung der Behandlung bei schwerer Krankheit und/oder zunehmender Gebrechlichkeit bzw. aufgrund einer plötzlich eintretenden Situation der Urteilsunfähigkeit (z. B. aufgrund eines Unfalls).

Pro Aidants bedankt sich für die Möglichkeit, im Rahmen der öffentlichen Vernehmlassung zum Nationalen Rahmenkonzept für die Schweiz Gesundheitliche Vorausplanung mit Schwerpunkt «Advance Care Planning» zu beteiligen.


Pro Aidants, die Schweizerische Interessenvertretung für betreuende Angehörige begrüsst und unterstützt die Bestrebungen der Gesundheitlichen Vorausplanung.


Aufgrund von Erfahrungsberichten unserer Mitglieder, Partner und aktuellen Erkenntnissen aus internationalen Forschungsprojekten zur Erhöhung der Lebensqualität am Lebensende, erlauben wir uns nachfolgende Anmerkungen zum vorgeschlagenen Modell für die Umsetzung

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Die GVP ist nicht ein einmaliges Ereignis, sondern ein sich wiederholender Prozess. Sie variiert zu verschiedenen Zeitpunkten in der Ausgestaltung und Konkretisierung. Das vorgeschlagene Modell unterscheidet drei Konkretisierungsmodule (A–C), wobei die Übergänge fliessend sind und die einzelnen Module nicht zwingend aufeinander folgen müssen.

Einstieg in die Auseinandersetzung

Empfehlung 1: Benennung und Information der Vertretungsperson

Es wird empfohlen, mindestens eine Vertretungsperson zu benennen. Diese muss bei fehlender oder unzureichender schriftlicher Vorausplanung im Fall der Urteilsunfähigkeit Entscheidungen im Sinne der erkrankten Person treffen und deshalb über ihre Rolle und Aufgabe informiert sein.

 

Benennung ist wichtig und richtig, reicht jedoch nicht aus. Angehörige müssen von Anfang an periodisch in Netzwerkgespräche eingebunden werden, um über Abmachungen informiert zu sein, wie z.B. kein Alkohol etc. Zudem können Angehörige eine Verschlechterung thematisieren, die eine kranke Person überspielt, um z.B. eine Einweisung in eine psych. Klinik zu verhindern.

Es wird empfohlen, mind. 1 Vertretungsperson zu benennen und diese periodisch in die Behandlung einzubeziehen.

Zusätzlich zur Benennung der Vertretungsperson, sollten in niederschwelligen Dokumenten zusätzliche Vorkehrungen dafür getroffen werden, wenn die Vertretungsperson selbst ausfällt, zum Beispiel über einen «Notfallplan für betreuende Angehörige».

 

Die vertiefte Auseinandersetzung

Empfehlung 2: Werteerklärung mit geschulten Fachpersonen

Für eine vertiefte Werteerklärung, auf deren Basis medizinische Behandlungsentscheidungen im Fall einer Urteilsunfähigkeit getroffen werden, ist eine Beratung zu empfehlen.

 

Der Ansatz ist gut. Zusätzlich zur Fachperson sollte eine ausgebildete EX-IN-Peer hinzugezogen werden. Sie kann stellvertretend für bspw. eine psychisch kranke Person deren Bedürfnisse formulieren, wenn die kranke Person Mühe zeigt, sich sinnvoll und lösungsorientiert einbringen zu können. Peers haben z.B. Erfahrung mit Suizidversuchen. Dies gilt auch für die Angehörigen-Peers. Damit entsteht eine trialogische Perspektive des Miteinanders.

Die Beratung sollte trialogisch erfolgen unter Beizug von erfahrenen Peers. Die betreuenden Angehörigen sind als informel Leistungserbringende den Fachpersonen gleichzusetzen. Schulungen sollten auch für betreuende Angehörige und/oder betreuenden Angehörige angeboten werden, die betreuende Angehörige schulen oder in Selbsthilfegruppe befähigen.

 

Die krankheitsspezifische Auseinandersetzung

Empfehlung 3: Betreuungs- und Behandlungsplanung für komplexe Situationen

Bei Personen mit chronischen körperlichen und/oder psychischen (Mehrfach-)Erkrankungen und dauerhaften Beeinträchtigungen sowie bei zunehmender Gebrechlichkeit oder wenn das Lebensende absehbar ist, wird eine detaillierte Planung empfohlen, die medizinische und pflegerische, wie auch psychosoziale und spirituelle Aspekte umfasst.

 

Die Empfehlung bezieht sich stark auf das Lebensende, während jährlich 16'000 Menschen mit Zwang in die Psychiatrie eingewiesen werden. Dabei kann nicht immer von chronischen oder co-morbiden Störungen gesprochen werden. Die Urteilsfähigkeit ist oft nur kurz eingeschränkt, eine Beistandschaft nicht nötig. Die Vorausplanung ist unter Einbezug des Umfelds besonders wichtig und kann Klinikaufenthalte verhindern, wenn z.B. Modelle des Open Dialogue angewendet wird.

Titel: Betreuungs- und Behandlungsplanung für Krisensituationen. Bei Personen mit kurzzeitigem Krisenverhalten und bei Personen mit chronischen Beeinträchtigung sowie Menschen bei zunehmender Gebrechlichkeit, wird eine detaillierte Planung unter Einbezug des sozialen Umfelds empfohlen.

Nicht nur auf dauerhafte, sondern auch für kürzere, temporäre Situationen anwenden, wie zum Beispiel bei Notfallpsychologischen Krisensituationen.

 

Wissen und Kompetenzen der Fachpersonen

Empfehlung 4: Kommunikative und methodische Kompetenzen 

Die kommunikativen und methodischen Kompetenzen sowie das fachspezifische Wissen in GVP und Palliative Care sind bei allen Gesundheitsfachpersonen zu stärken. Für die Beratung zu GVP sind verschiedene Aus- und Weiterbildungen erforderlich.

 

Die Kompetenzen und das Fachwissen sollte auch bei pflegenden Angehörigen gestärkt werden.

 

Sensibilisierung und Leitfragen für den Einstieg

Empfehlung 5: Adressatenspezifische Sensibilisierung und Information

Zielgruppenspezifische Sensibilisierungsaktivitäten und Informationskampagnen regen an, sich mit der GVP zu befassen. Die Wissensvermittlung sollte in unterschiedlichen Formen erfolgen, z. B. durch Flyer, Broschüren, Kurzfilme, und für alle Bevölkerungsschichten zugänglich und verständlich sein. Informationsveranstaltungen und kompetente Beratungen runden das Massnahmenpaket ab.

 

Bei der Sensibilisierung und Information sollte auch auf digitale Kommunikationsmöglichkeiten gesetzt werden, mit denen inbesondere betreuende Angehörige gut erreicht werden können.

 

Empfehlung 6: Leifragen für die Auseinandersetzung 

Mögliche Fragen für die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen und Präferenzen: − «Welche Erfahrungen mit Krankheit oder Sterben haben mich geprägt?»

−  «Was macht mein Leben lebenswert?»

−  «Wenn ich sehr krank wäre, was wäre für mich zentral wichtig?»

−  «Was ist für mich das Wichtigste im Leben?»

 

Zusätzlich sollten soziale und kommunikative Wünsche erfasst werden, wie zum Beispiel welche Interaktionen mit welchen Menschen am Lebensende ermöglicht werden sollten.

 

Dokumentation

Empfehlung 7: Regelmässige Aktualisierung der Dokumentation 

Die Ergebnisse der eigenen GVP sollten schriftlich festgehalten und in regelmässigen Abständen überprüft und aktualisiert werden – insbesondere, wenn sich die Lebens- oder Gesundheitssituation erheblich verändert.

 

Siehe Empfehlung 11.


Empfehlung 8: Minimalstandards für Patientenverfügungen

Es sollen schweizweit einheitliche Minimalstandards für Patientenverfügungen in Bezug auf Inhalt und Qualität erarbeitet werden.

 

So niederschwellig wie möglich.

 

Empfehlung 9: Institutionsübergreifend zugängliche Betreuungs- und Behandlungspläne

Es braucht (technische) Lösungen, damit die Betreuungs- und Behandlungspläne bei Personen mit chronischen körperlichen und/oder psychischen (Mehrfach-)Erkrankungen und dauerhaften Beeinträchtigungen sowie bei zunehmender Gebrechlichkeit oder wenn das Lebensende absehbar ist, über die Institutionsgrenzen hinweg zugänglich sind und angewendet werden können.

 

Neben technischen Möglichkeiten sollte mit zusätzlichen Anreizen oder Koordinationsbeiträgen die inter-professionelle Zusammenarbeit gefördert werden.

 

Empfehlung 10: Einheitliches Formular der ärztlichen Notfallanordnung (ÄNO) 

Es soll ein einheitliches Formular der ÄNO erstellt werden, um die Behandlungswünsche bzw. Therapieziele für akute Notfallsituationen festzuhalten. Dieses Formular der ÄNO wird als Standard in der gesamten Schweiz eingeführt und angewendet.

 

Wünschenswert sind zudem modular aufgebaute Dokumente, die aufeinander aufbauen, wie Z.B: Betreuungsvertrag, Sorgeauftrag, Freitodbegleitung.

 

Empfehlung 11: Integration in das elektronische Patientendossier

Es wird empfohlen, die GVP-Dokumentation ins elektronische Patientendossier zu integrieren, sobald dies breit und sicher angewendet werden kann.

 

Dafür sollten Pilotprojekte über eHealthsuisse ausgeschrieben werden. Darüber hinaus gilt es die Prozesse bei Notrufzentralen anzupassen und die Dokumente dort physisch und/oder elektronisch aktualisiert zu hinterlegen.

 

Nächste Schritte und Ausblick

Gerne stellen sich unsere Mitglieder und Mitarbeiter zur Umsetzung der Massnahmen zur Verfügung, um möglichst viele Personen für die GVP zu sensibilisieren und um die Dokumentationen – Patientenverfügungen, Betreuungs- und Behandlungspläne etc. – so zu gestalten, dass sie in der konkreten (Notfall-)Situation rasch auffindbar sind, den Willen der vorausplanenden Personen verständlich abbilden und eingehalten werden können.

 

Der «Plan B» für Angehörige

Mit dem Notfallplan sichern Sie einen nahtlosen Übergang der Betreuung und Pflege für den Fall, dass Sie diese Aufgaben selber plötzlich nicht mehr leisten können.

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