Was ist eigentlich Advance Care Planning?

Die Beschäftigung damit, was im Falle einer Intensivpflege getan oder nicht getan werden soll, ist mit der Covid19-Pandemie plötzlich ins Blickfeld gerückt. Wie soll man sich als Angehörige, wie für sich selber darauf vorbereiten? Genügt nicht einfach eine Patientenverfügung? Tanja Krones bringt im Gespräch mit Rich Züsli Licht in diese letzten Fragen. Tanja Krones ist leitende Ärztin Klinische Ethik und Geschäftsführerin des Klinischen Ethikkomitees des Universitätsspitals Zürich.

Pro Aidants, Rich Züsli: Die Patientenverfügung war bisher das Mass aller Dinge, wenn sich Angehörige für eine nahestehende Person zu Leben und Tod äussern mussten. Stimmt das nicht mehr? Was wird mit der "personenzentrierten Vorausplanung" anders?

Tanja Krones: Advance Care Planning (ACP) ist nicht so neu, wie es in der Schweiz scheinen mag. Als Präsidentin von ACP International verfolge ich diese Entwicklung genau. In den angelsächsischen Ländern ist ACP seit etwa 20 Jahren im Gespräch, in vielen asiatischen Ländern seit ca. 10 Jahren. Der neunte internationale Austausch fand gerade dieser Tage wieder statt, übrigens zum ersten Mal an einer digitalen Konferenz. 

PA: Was ist denn nun genau ACP? Was ist anders?

TK: Es geht darum, dass die Person und die betreuenden Angehörigen fachlich qualifiziert darin begleitet werden, das, was dem Menschen in Bezug auf Behandlung und Betreuung wirklich wichtig ist und was nicht passieren darf zu klären, auch zwischen Lebensqualität und Lebensverlängerung abzuwägen und dies auch in konkrete medizinische Behandlungspläne für Notfälle und andere Situationen der Urteilsunfähigkeit zu übersetzen. Patientenverfügungen sind Teil einer ACP. In der Schweiz sind sie rechtlich bindend. Es geht aber eben auch um Details, auch um medizinische.

PA: Kann man das in einer der vielen Patientenverfügungen nicht ebenso festlegen?

Bei Notarzteinsätzen und Intensivbehandlungen versagen diese Instrumente häufig. Wenn in einer Verfügung gleichzeitig Leidens-Minderung als Ziel festgehalten ist und das Kreuzchen bei "Reanimation" bei "Ja" steht, hilft das nicht weiter: Was mache ich als Arzt jetzt?

PA: …Im Zweifelsfall entscheidet er oder sie dann vermutlich gemäss den eigenen Wertvorstellungen?

TK: …genau. Ein anderer Punkt betrifft die Unmöglichkeit zu wissen, was man in ein paar Jahren denkt und fühlt. 45 Minuten reichen nicht für ein ganzes Leben. Einen solchen Plan macht man nicht erst beim Eintritt in ein Pflegeheim. Niemand kann lebenswichtige Entscheidungen für den Krankheitsfall viele Jahre im Voraus vorwegnehmen. ACP dagegen ist ein immer wieder gemeinsam evaluierter Plan.

PA: Wie hilft das betreuenden Angehörigen?

TK: Etwa bei Angehörigen, die chronisch krank sind. Die nächste Krise kann die letzte sein, ohne, dass man gerade damit rechnen muss. Das kann in 5 Jahren, 10 Jahre sein oder morgen. Betreuende Angehörige, die mit der betroffenen Person laufend im Gespräch darüber sind, was letztere will, sind in so einer Situation viel besser dran. Aber es geht nicht nur darum, was jemand am Lebensende will. In eigenen Studien und von der Australierin Karen Detering konnten wir zeigen, dass betreuende Angehörige viel weniger traumatisiert sind, wenn sie gemeinsam eine Vorausplanung machen.

PA: An dem von Ihnen erwähnten Kongress war "ACP" nur einer von vielen Begriffen. Müssen wir jetzt mit einer Fülle von neuen Methoden rechnen?

TK: Auf keinen Fall. Die Begriffe unterscheiden sich oft nur wegen des unterschiedlichen regionalen Hintergrunds. Basis ist immer der Mensch und das gemeinsame Gespräch, das nach bewährten Standards geführt wird. Die Standards betreffen die Inhalte und die Art und Weise der Gesprächsführung. Es braucht hierzu nicht unbedingt einen Arzt oder eine Ärztin. Je nach Land werden auch pensionierte Lehrer (Australien), Pflegepersonen (USA) oder andere darin geschult, diese Gespräche zu führen. Wenn Menschen, die noch gesund sind, vorausplanen möchten, werden diese ersten Schritte häufig durch nicht-medizinische aber fachlich in ACP qualifizierte Personen durchgeführt. Dabei lernt man, genau zuzuhören, nachzufragen und gemeinsam herauszufinden: Was ist wirklich wichtig, was darf auf keinen Fall geschehen, was kann ganz konkret vorausgeplant werden? Das kann bei chronisch und schwer kranken Menschen – dann in Zusammenarbeit mit in ACP geschulten Ärzten und hochspezialisierter Spitex – bis zu den Medikamenten gehen und ist nicht etwas, das man mal eben schnell mit Ankreuzen erledigen kann.

PA: Für ACPs werden oft drei inhaltliche Schwerpunkte genannt: 1. Was man nicht will. 2. Was in einer Krise zu tun ist. 3. Was einem am wichtigsten ist. Wo würden sie anfangen?

TK: Beim dritten Punkt. Am Anfang steht nicht das Medizinische. Die Werthaltung soll zuerst verstanden werden. Das entspricht nicht nur meiner persönlichen Überzeugung, es ist Teil des Konzepts und der Schulung. Seit 2020 gibt es übrigens den gemeinnützigen Verein ACP Swiss, der es sich zur Aufgabe macht, diese Art der Gespräche und Vorsorgeplanung in der Schweiz zu verbreiten [siehe auch Link am Ende des Interviews].

PA: Zum Schluss eine persönliche Frage: Haben Sie für sich selber eine ACP gemacht? Mit wem?

TK: Habe ich – mit einem deutschen in ACP geschulten Kollegen. 

PA: Danke für dieses Gespräch!


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